Wehringhausen – eine architekturgeschichtliche Kurzbeschreibung

Mit Graffiti verzierter Bahnbogen am ehemaligen Schlachthof.
Das Schlachthofgelände und die Eisenbahnstrecken bestanden bereits, bevor Wehringhausen nach Hagen eingemeindet wurde. (Foto: Michael Eckhoff)

Von Michael Eckhoff, Stadtheimatpfleger

 

Mit Graffiti verzierter Bahnbogen am ehemaligen Schlachthof.
Das Schlachthofgelände und die Eisenbahnstrecken bestanden bereits, bevor Wehringhausen 1876 nach Hagen eingemeindet wurde. (Foto: Michael Eckhoff)

Im Jahr 1887 wurde der bis dahin recht große Landkreis Hagen geteilt – in einen kleineren Kreis Hagen, in einen neuen Kreis Schwelm und in den Stadtkreis Hagen. Die Volmestadt hatte zu diesem Zeitpunkt gut 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Als Stadtteile gehörten seit 1876 zwar Eilpe (samt Selbecke) und Wehringhausen (samt Kuhlerkamp) dazu, aber beispielsweise noch nicht Haspe, Eckesey-Altenhagen, Delstern oder Eppenhausen-Emst.

Ziemlich genau ein Jahr nach der Kreisteilung fertigte der vereidigte Landvermesser Betz eine Stadtkarte an, die hervorragend Aufschluss gibt über die städtebauliche Situation in der Volmestadt und somit auch in Wehringhausen. Die Wehringhauser Wohnbebauung konzentriert sich 1888 in vier Sektionen:

  • erstens entlang der heutigen Södingstraße (damals: Neue Friedrichstraße) und somit zwischen der Schwenke und dem seit 1810 genutzten Buscheyfriedhof,
  • zweitens rund um die Wehringhauser Straße (mit einem eindeutigen Schwerpunkt am heutigen Bodelschwinghplatz),
  • drittens im „Geviert“ von Pelmke-, Bleich- und Bachstraße,
  • viertens an der unteren und oberen Rehstraße.
Alte Häuser an der Wehringhauser Straße
1888 war Wehringhausen nur spärlich bebaut. Einer der Schwerpunkte lag an der Wehringhauser Straße im Bereich des Bodelschwinghplatzes. (Foto: Michael Eckhoff)

Im Bereich der Lange Straße, die immerhin schon bis zur Pelmkestraße führt, sowie rund um den heutigen Wilhelmsplatz, an der Buscheystraße (ein Feldweg) und an ihrer seinerzeitigen Fortsetzung, 1888 Feldstraße geheißen, stehen nur vereinzelt Bauten. Von der für Wehringhausen charakteristischen Karree-, also Blockbebauung, so wie wir sie heute kennen und schätzen, ist folglich noch nichts vorhanden.

Verkehr und Gewerbe sind fast ausschließlich im Tal angesiedelt – mit der traditionsreichen Chaussee (Wehringhauser Straße) im Mittelpunkt. Die drei Eisenbahnstrecken (Bergische-Märkische, Talbahn und Rheinische) existieren bereits, ebenso der Schlachthof und eine städtische Gasfabrik (später Mark-E an der Rehstraße). Gewerblich prägen 1888 mehrere große Fabrikkomplexe das Tal – sie sind zu diesem Zeitpunkt noch teilweise verknüpft mit Hammerteichen, Unter- und Obergräben. Die größten Komplexe:

  • das Gussstahlwerk Eicken an der Fabrikhofstraße (heute: Schwanenstraße, das Werk existiert nach wie vor, aber unter anderem Namen),
  • das Walzwerk Funcke & Elbers (hinter dem Hauptbahnhof),
  • die Werkzeugfabrik Johann Dietrich Post (die Villa Post/VHS erinnert daran),
  • vier Schrauben-, Gabel- und Werkzeugfabriken unweit der Rehstraße sowie
  • die Schaufelfabrik von Hermann Harkort an der Dieckstraße.

Insbesondere das Harkortsche Hammerwerk verdient unsere Aufmerksamkeit, hatte doch Hermann Harkort just an dieser Stelle zusammen mit anderen Finanziers und vor allem gemeinsam mit Adolph Müller ein Unternehmen gegründet, das innerhalb kurzer Zeit Weltgeltung erlangte – eine Akkumulatorenfabrik. Das war damals etwas völlig Neues. Aus der Wehringhauser Gründung ist schlussendlich die Varta hervorgegangen, heute stößt der Betrachter hier auf das Batteriewerk von Enersys/Hawker.

 

Am Standort des Hammerwerkes von Hermann Harkort entstand bereits 1887 eine Akkumulatorenfabrik. Noch heute produziert die Firma Hawker/EnerSys (ehem. Varta) hier Batterien. (Foto: Michael Eckhoff)

Die Einwohnerzahl Hagens stieg ab 1888 schnell weiter an – bereits 1899 konnte die 50.000-Einwohner-Schwelle überschritten werden. Es wurde eine große Anzahl an Wohnungen benötigt. Vor allem das für eine Wohnbebauung gut geeignete Hanggebiet zwischen Bergisch-Märkischer Eisenbahnstrecke und dem Stadtwald bot sich für eine Überplanung an. Neben diversen Terraingesellschaften (heute sprechen wir von Bauinvestoren) waren es ab circa 1899 vorrangig mehrere genossenschaftlich organisierte Wohnungsbaugesellschaften, die die Erschließung der großen Fläche übernahmen (darunter der Bau- und Spar-Verein Hagen und die Eisenbahner-Wohnungsgenossenschaft) und die eine der größten Stadterweiterungen der „Ära 1900“ in Südwestfalen schufen.

Fortan entstand nördlich und südlich der Lange Straße das typische Gesicht Wehringhausens mit seinen Blöcken, die von normalerweise mindestens viergeschossigen Mietshausbauten „gerahmt“ sind. Stilistisch zeigen sie das Gesicht des Historismus, ab und zu weisen die Fassaden auch Merkmale des Jugendstils und der frühen Moderne auf.

Etwas anders sieht es im Hangbereich zwischen Buscheystraße und Stadtwald/Stadtgarten aus. Hier wurden seinerzeit vorrangig Villen-Gebiete erschlossen – das heißt, hierher zogen vorzugsweise Industrielle, Direktoren und mit ihnen verbundene Familienangehörige. Auch in diesem Areal lassen sich – trotz manngifaltiger Veränderungen – noch Bauten finden, die vom Historismus oder Jugendstil geprägt sind.

Unter „Historismus“ versteht der Kunsthistoriker jenen Teil der Architektur aus der Zeit um circa 1825/1925, der von der Nachahmung historischer Stilrichtungen beherrscht wird. Los ging es einst bereits mit der Nachahmung der Antike im sogenannten Klassizismus, es folgten schnell hintereinander die Imitation von Gotik, Romanik, Renaissance, Barock und „Altdeutschem“, um dann in der Belle Epoque in einem „pompösen Durcheinander“ den Höhepunkt zu erreichen. Mit diesen Entwicklungen können wir uns in Wehringhausen herausragend vertraut machen.

 

Villa Springmann an der Christian-Rohlfs-Straße
Im oberen Wehringhausen wurden schon früh Villen errichtet, oft vom Historismus oder Jugendstil geprägt. Die Villa Springmann an der Christian-Rohlfs-Straße war 1911 einer der letzten Jugendstil-Bauten des belgischen Star-Architekten Henry van de Velde. (Foto: Michael Eckhoff)

Und noch etwas lässt sich in Wehringhausen gut nachvollziehen: Natürlich entstand mit der enormen Zunahme der Bevölkerung auch die Notwendigkeit, die benötigte Infrastruktur zu schaffen – es mussten Schulen ebenso errichtet werden wie Kirchen, eine Feuerwache und Geschäftshäuser. Einen nicht unerheblichen Teil dieser neuen Infrastruktur platzierten die Stadtplaner an der Lange Straße mit dem Wilhelmsplatz als Mittelpunkt.

Zu einer weiteren Verdichtung kam es dann in den 1920er Jahren – mit dem Bau zusätzlicher Siedlungskomplexe, etwa an der Eugen-Richter-Straße, an der Henschelstraße und auf dem Kuhlerkamp (Cunosiedlung). Stilistisch ist diese Verdichtung vorwiegend geprägt von der Neuen Sachlichkeit (Stichwort: Bauhaus) und vom Backstein-Expressionismus.

 

EWG-Siedlung an der Eugen-Richter-Straße.
In den 1920er Jahren wurde Wehringhausen auch durch Siedlungsbau geprägt, etwa an der Eugen-Richter-Straße. (Foto: Michael Eckhoff)

Wehringhausen weist für die fünf Jahrzehnte zwischen 1880 und 1930 zahlreiche herausragende Baudenkmäler auf, dazu gehören – um nur einige wenige Beispiele zu nennen – die von Henry van de Velde geplante Villa Springmann, Christian-Rohlfs-Straße 49 (Baujahr: 1911), die von Leopold Ludwigs entworfene Villa Funcke, Stadtgartenallee 1 (Baujahr: 1925), die Doppelvilla Klöckner, Schumannstraße 8/10 (Architekten Woltmann, 1924), die Villa Eicken, Dömbergstraße 1 (Architekt Eichelberg, 1897), die gesamte Häuserfront an der nördlichen Buschey-/Eugen-Richter-Straße, der Wilhelmsplatz, die katholische St.-Michael-Kirche an der Lange Straße (Architekt: Clemens Caspar Pickel, 1900/1914), die frühere katholische Volksschule an der Pelmkestraße (Baujahr: 1903, „Kulturzentrum Pelmke“), die einstige evangelische Volksschule an der Lange Straße (Baujahr: 1900, „Emil-Schumacher-Grundschule“), die Villa Post, Wehringhauser Straße 38 (Baujahr: 1892), das Miets- und Ärztehaus Wehringhauser Straße 78 (Architekt Schönberg, 1907), das „Akku“-Verwaltungsgebäude Dieckstraße 42 (Architekt Winkler, 1915) sowie die Cuno-Siedlung am Kuhlerkamp (mehrere Architekten unter der Leitung des seinerzeitigen Stadtbaurats Ewald Figge, 1926/28), die als der vielleicht bedeutendste Siedlungskomplex der 1920er Jahre in Südwestfalen gelten kann.

Von der Bebauung aus der Zeit vor 1888 ist unter anderem erhalten: der Selbach-Kotten, Bachstraße 87, das „Fässchen“, Lange Straße 53, der Grummerthof an der Grummertstraße (wird urkundlich schon 1486 genannt) sowie insbesondere die Eicken-Arbeitersiedlung Lange Straße 113-123 bzw. 126-136 (um 1875 gebaut).

Als wichtige Bauwerke nicht unerwähnt bleiben dürfen auch der Goldbergtunnel (1910 fertiggestellt), die diversen Bahnanlagen (seit 1849), das Allgemeine Krankenhaus (ab 1909), der Stadtgarten (1884 von einer Bürgerinitiative begründet), der Buscheyfriedhof (ab 1810, ein sehr frühes Beispiel eines ökumenischen Miteinanders mehrerer Kirchengemeinden), der als Denkmal einzigartige Drei-Kaiser-Brunnen auf dem Bodelschwinghplatz (Bildhauer: Emil Cauer d.J., 1902) und das Haus Bleichstraße 11, wo einst der berühmte Maler Emil Schumacher lebte und arbeitete.

 


Mehr zum Thema:

Claus-Uwe Derichs, Michael Eckhoff, Petra Holtmann und Sabine Jellinghaus: Architekturführer Hagen, hgg. von der Stadt Hagen, Ardenkuverlag Hagen, 2005

Hagener Heimatbund/Volkshochschule Hagen (Hg.), Redaktion Jens Bergmann: Architektur- und Kulturwege durch Wehringhausen, Ardenkuverlag Hagen, 2007

Michael Eckhoff, Elisabeth May (Redaktion): Jugendstil & mehr – acht Architekturtouren durch Hagen, hgg. von der Hagen-Agentur GmbH in Kooperation mit dem Fachbereich Kultur der Stadt Hagen, (2010) korr. Neuauflage 2016